´HÄNG DAS BILD AN SEINEN PLATZ ODER DOCH WEITER NACH LINKS`
Ein fragmentarischer Versuch über die Malerei von Claudia Larissa Artz

Ein Text von André Normann, Künstler, anlässlich der Ausstellung ´RIVER und andere Tafelbilder` im Quatier am Hafen, 2012

LICHT dringt durch kleine runde Öffnungen im gebrannten Beton – erst noch gebündelt brechen sich diese Strahlen am Ende in eingelassenen kleinen Glaspfropfen und es scheint als würden sie in diesem Moment auf der Oberfläche des Betons explodieren.
Das Regenwasser auf der rauen, vom Brennvorgang gezeichnete Oberflächentextur des Betons, bricht abermals jenes Lichtspiel im Inneren und lässt die nach obenhin geöffnete Räumlichkeit zu einem sakralen Bauwerk werden.
Ich erinnere mich, wie sich mit der Bewegung der Wolken, die den Himmel und zeitweise die Sonne bedeckten, das Lichtspiel im Inneren veränderte, wodurch dieses Gebäude mehr als sonst mit jeder Tages-, wie Jahreszeit seine Wirkung variierte – bald stündlich ließen sich hier ganz andere Eindrücke, Bilder und Lichtsituationen wahrnehmen.

JEDES GEBÄUDE gleich seiner Funktion oder Ästhetik weist eine gewollte und ungewollte Lichtführung auf, die  den Raum prägen aber auch empfindlich stören kann. Mit dem Setzen einer Wand innerhalb eines Gebäudes mag sowohl eine Teilung einhergehen, ein Architekt der sein Handwerk versteht, weiß jedoch auch um den Schatten der jener Setzung entspringt. Dieser Schatten trägt zur Lichtsetzung eines Raumes ebenso bei wie jede Öffnung nach Außen und erlaubt eine temporäre Zeichnung in eine Räumlichkeit zu transformieren.
Diese Spielart wird in westlichen Kulturen jedoch von dem Wunsch nach hohen und hellen Räumen gestört, vieler Orts wird mit der Dunkelheit gleich welcher Abstufung ein Negativum verbunden. Dieses steht jedoch in einem divergierenden Verhältnis zu sakralen Räumlichkeiten, welche ihre Sakralität nicht ihren bisweilen prunkvollen Ausschmückungen, sondern dem  Wechselspiel zwischen jenen Abstufungen von Dunkelheit und Zwielicht verdanken. Der Wohnraum wird hingegen weit geöffnet und die hinterste Ecke noch durch den unnatürlichen Schein einer Lichtquelle seiner Eigenart, seines Zwielichts beraubt.

DIE TRADITIONELLE JAPANISCHE  BAUWEISE widmet den feinen Abstufungen des Schattens eine ganz andere Aufmerksamkeit, hier ist es ein Gewolltes, den Raum über jene Abstufungen zu definieren und die sanfteren Lichtverhältnisse vorrangig über die bauliche Substanz zu konzentrieren  – das Licht nicht bis in den Winkel führen, sondern Selbigen über die Schattierungen ausfüllen.
In diesen nach unseren Maßstäben wohl schlichten Wohnräumen, ist die Präsenz des Wand- und Haus-schmucks ein architektonisches Element, welches sich in der Konstruktion einer Nische konzentriert – der Tokonoma. Diese zeichnen sich insbesondere durch den Verzicht einer Fensteröffnung  aus, damit die Konzentration einzig auf jenen in ihr befindlichen Objekten liegt.
Eine vergleichbare Konzentration wird in der westlichen Kirchenarchitektur  ebenfalls durch die Herausbildung einer Nische erreicht, in der dann jene Heiligen- oder Reliquienverehrung bei gedämpftem Licht erfolgt. Es lässt sich also in diesem Verhältnis von Dunkelheit, wie Zwielicht eine Konzentration finden, die physisch gefördert in jedem Menschen gleichermaßen eine Ruhe, wie Zentrierung bewirkt.

‚Es gibt allerdings in unserenWohnräumen auch die sogenannten Wandnischen (tokonoma), in die man Bildrollen hängt und Blumen stellt; aber selbst diese Bildrollen und Blumen sollen nicht so sehr die Wirkung einer Dekoration ausüben als vielmehr dem Schatten Tiefe verleihen. Wenn wir eine Bildrolle aufhängen, dann achten wir vor allen Dingen auf den Einklang  der Rolle mit der Wand […]‘

Tanizaki Jun`ichiro ( Lob des Schattens, um 1933)

Die Basis DIESER TRADITIONEN  ist Claudia Larissa Artz bekannt und es ist vermutlich jener Moment einer intimen  Konzentration die ihre Arbeiten einfordern.
Eine Intimität, wie wir sie bereits in den Arbeiten der Vertreter des abstrakten Expressionismus wie Agnes Martin oder Cliford Still/Mark Rothko erkennen –  die Arbeiten C.L. Artz unterscheiden sich jedoch von der direkten Frontalität, wie malerischen Expressivität jener Vertreter.
Ihre Malerei konzentriert sich in den leisen Klängen, wie wir diese auch in den feinen Abstufungen des gedämpften Lichts finden, es existiert kein Aufbegehren in der Tonalität und keine Stringenz oder mathematische Systematik, trotzdem sind diese Bildräume nicht weniger harmonisch.

Wir sehen uns EINER MALEREI gegenüber, deren Flächen, kristalline Formen und Linienryhtmen sich trotz ihrer Diskontingenz in einem natürlichen, wie inneren Gleichgewicht befinden. In diesem so scheint, liegt auch die Adaption einer asiatischen Notation – eine Übersetzung fernöstlicher Tradition, welche hier mitschwingt. Arbeitstitel wie ‚Emaki‘ und ‚Makoto‘  unterstreichen ein solches Verwandtschaftsverhältnis und werden zur sinnbildlichen Parabel die weder Erklärung, noch erzwungene Ergänzung sind – sie dienen vielmehr zur Einordnung der geistigen, gegenwärtigen oder zeitlichen Beziehung zueinander.
So sind ganze Serien mit einem zentralen Begriff, Namen oder Ort betitelt, wobei jede Arbeit um einen chronologischen Verweis ergänzt wurde – diese Nummerierung verweist auch im Angesicht des einzelnen Werks auf deren sinnbildliche Fortführung. Hierdurch stehen die Arbeiten zwar untereinander in einer Beziehung, sind aber in sich geschlossen und nicht von dieser Serialität abhängig.

BETRACHTEN wir ein solches Bild, so werden wir hineingezogen in eine Flächigkeit deren verschleierter, wie vielschichtiger Farbraum von  kristallinen Formen, dynamischen Setzungen, Dessin oder Ornamente durchbrochen ist.
Der Bildraum beschränkt jene Formen und scheint diese von den Seiten der Leinwand wie Blitze oder Körper ins Zentrum zurückzuwerfen, so wie sich das Licht in den Schichten des Glases bricht, ändern diese Formen immer wieder ihre Ausbreitungsrichtung. Manche dieser Flächen und Formen treten über diesen Bildrand hinaus und führen ins Nichts, sie vervielfältigen sich gedanklich weiter bis ins Unendliche.
Während in mancher Arbeit ein Kampf zwischen den Formen existiert, ähneln andere der vergrößerten Ansicht eines einfachen Buchenblattes im Gegenlicht, dessen feines Aderngeflecht das Gefüge zusammenhält – ohne das wir um die Bedeutung der einzelnen Linien wissen, erscheinen sie uns doch als würden sie die Konstruktion tragen.

NÄHERN wir uns dem Bild so lösen sich die Formen und Flächen auf und die Prozesshaftigkeit, die Bewegung des Pinsels, die malerische Geste bildet sich immer mehr heraus – vielzählige Farbschichten werden erahnbar, da wo die Ränder der vermeintlichen Formen ihre Härte verlieren, um sich im neben- und übereinander der Farbe aufzulösen.
Bewegt man sich nun zum Bild, verändert die Distanz dessen Gestalt – wie das Licht minütlich die Zeichnung eines Schattens überzeichnet. Es gibt diesen Moment bei der Betrachtung da man das Gefühl hat, dass der Duktus erkennbar die Farbschicht öffnet und unter dem dunklen Farbauftrag ein heller Schein diese Dunkelheit durchbricht – das Bild von innen her leuchtet.
Geht man nur zwei Schritte zurück, um mehr von der Fläche zu erfassen, schließt sich diese wieder und der dunkle Vorhang verdeckt erneut jenen Bildbereich. Auch wenn man meint in den Bildern einen Vordergrund auszumachen, glaubt die obenliegende Farbschicht zu kennen –  so wird man doch von einem optischen Wechselspiel der Ebenen immer wieder aufs Neue übermannt.  Die in mehreren Schichten aufgetragenen Farbflächen lassen nicht erkennen, ob die Form aufliegt oder eine Öffnung auf die darunterliegende Fläche frei gibt, es ist wie der Blick in oder aus einer Grotte, der im nächsten Moment schon von einem Stein verstellt wird.

Einen Unterschied zu diesen von FLÄCHEN UND FORMEN dominierten Arbeiten bilden die neueren Werke, wie ‚Melody of Structures‘ . Hier haben sich die Formen zu drei- und sechseckigen Ornamenten aufgelöst, die sich wie ein Mosaik über den Bildraum und über diesen hinaus erstrecken.
Jedoch übersetzt C.L. Artz diesen Rhythmus nicht mit letzter Konsequenz – die Ornamentik diktiert nicht, sondern ist nur Teil einer Symphonie, welche der Harmonie folgend auch die unterschiedlichsten Notationen annimmt.
So wie jedes Buchenblatt in der Maserung seinen individuellen Charakter im festgelegten System besitzt, weisen auch die Bilder einen solchen auf, wenn hier das Raster in der Farbzuweisung oder der gleichwertigen Ausarbeitung nicht dem zuerwartenden Rhythmus folgt. Dieser Bruch mit der Systematik führt jedoch immer wieder zu neuen Formen, die anscheinend willkürlich im Malprozess entstanden sind.

Die Veränderung der eigenen POSITION zum Bild führt auch hier zu neuen Ansichten und lässt erkennen, dass die Ornamentik mit einem malerisch offenen Gestus und unterschiedlicher Farbdichte auf den Träger aufgebracht wurde. C.L.  Artz folgt in diesem einer direkten Malweise, die nur bedingt einmal gemachte Setzungen kaschieren lässt, wodurch das Scheitern am eigenen Akt zum immaneten Prozessbestandteil wird. Das Risiko, die Zeit und auch die Überlegung oder der Zweifel lassen sich im Duktus, im Ansatz der Pinselführung erahnen und werden so ebenfalls zum subtilen Anteil des Werkes.

‚[…]metaphysisches Bewußtsein: Es ist auf seiner ersten Stufe ein Erstaunen über die Entdeckung widerstreitender Gegensätze, auf der zweiten Stufe, die Erkenntnis ihrer Identität in der Schlichtheit des Tuns. Das metaphysische Bewußtsein hat keine anderen Gegenstände als die alltägliche Erfahrung: diese Welt, die Anderen, die menschliche Geschichte, die Wahrheit, die Kultur, […]‘

Maurice Merleau Ponty (Das Metaphysische im Menschen, 1947)

ABSCHLIESSEND bleibt die Erinnerung an jenen Moment, in dem ich eine Arbeit im Atelier neben dem Ofen im Schatten des Wandvorsprungs sehen durfte. Auch wenn man erwarten würde, dass dieser einer malerischen Oberfläche zu Leibe rückt, die Bildfläche verdunkelt und womöglich in unterschiedliche Teile zerlegt,  ergab es sich, dass dieses Bild jenen Schatten aufnahm und selbst zu leuchten begann.
Und es war weniger der Ofen der diesen Eindruck verhinderte – es waren die anderen Bilder welche im Atelier hingen und die alleinige Wahrnehmung, die Intimität unterbrachen.
Vielleicht bedarf es dann doch einer Nische, um die Präsenz des Bildes ganz zu vernehmen – aber wer schaltet schon das Licht aus um bei gedämpftem Lichteinfall ein Bild zu betrachten?